20. Mai 2021: Vor der Plenarsitzung des Nationalrats zur Kundgebung gegen Gewalt an Frauen versammelte sich der SPÖ-Gleichbehandlungssprecher Mario Lindner gemeinsam mit männlichen SPÖ-Abgeordneten vor dem Ausweichquartier des Parlaments. Unter dem Titel „Männer müssen aufstehen gegen männliche Gewalt“ wollten sie ein Zeichen für die Verantwortung von Männern im Einsatz gegen Gewalt an Frauen setzen. Laut Lindner müsste die Politik für eine neue Art der Männlichkeit eintreten, um das strukturelle Gewaltproblem in Österreich zu überwinden: „Wir brauchen Geld für Maßnahmen gegen toxische Männlichkeit und für Präventions- und Männerarbeit.“
„Gewalt gegen Frauen ist kein ‚Frauenthema‘, sie geschieht durch ein falsches, toxisches Bild von Männlichkeit.“
SPÖ-Gleichbehandlungsssprecher Mario Lindner – „Männer gegen männliche Gewalt“ am 20.05.2021 | Quelle
Gesamtgesellschaftliche Hintergründe
Innerhalb einer Gesellschaft entstehen ungleiche Machtverhältnisse unter anderem durch die wirtschaftliche oder kulturelle Benachteiligung von statistisch gesehen überwiegend Frauen, Kindern und älteren Personen – man spricht daher auch von „struktureller Gewalt“. Betroffen ist häufig nicht nur das Opfer selbst, sondern auch sein soziales Umfeld und somit die Gesellschaft insgesamt. Daher bedarf es gesamtgesellschaftlicher Maßnahmen in Präventions- und Täter:innenarbeit – ersteres um Gewalt gar nicht erst entstehen zu lassen, zweiteres um Wiederholungstaten zu verhindern.
Ein Blick auf die Arbeit in der Gewaltprävention
Der Verein „Neustart“ engagiert sich neben den Bereichen Bewährungshilfe und soziale Arbeit auch in der akuten und längerfristigen Konfliktregelung. 2022 arbeitete Neustart nach eigenen Angaben mit 10.047 Klient:innen im Bereich Gewaltprävention zusammen. Vordergründig sind immer die Bewältigung der akuten Stresssituation sowie eine sofortige Beendigung der Gewalthandlungen. Auch werden individuelle Ursachen für das gewalttätige Verhalten aufgearbeitet, um gewaltfreie Bewältigungsstrategien für zukünftige Konfliktsituationen erlernen zu können.
„Eine leicht umsetzbare Deeskalationsmaßnahme ist das bewusste Verlassen der akuten Konfliktsituation, gefolgt von Entspannungstechniken, wie der 4-7-8 Atmung, oder sportlicher Betätigung, um sich abzureagieren.“
Mag. Dr. Birgitt Haller, bis September 2023 wissenschaftliche Leiterin am Institut für Konfliktforschung (IKF)
Exkurs: Annäherungs- und Betretungsverbote (AV/BV)
Im Jahr 2022 verzeichnete die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) des Bundesministeriums für Inneres (BMI) 78.836 Anzeigen im Bereich Gewaltkriminalität, was einem Anstieg um 16,9% im Vergleich zum Vorjahr entspricht. Diesem Negativtrend steht eine positive Entwicklung bei Gewalt in der Privatsphäre gegenüber: Die Anzeigenzahl sank um 1,6% auf 19.897, wobei von einer deutlich höheren Dunkelziffer ausgegangen werden muss.
Gewalt in der Privatsphäre
Anzahl der Anzeigen
Jahr 2018
15.077
Jahr 2019
16.248
Jahr 2020
18.360
Jahr 2021
20.213
Jahr 2022
19.897
Entwicklung der Gewalt in der Privatsphäre in Österreich von 2018 bis 2022
Laut BMI wurden im Jahr 2022 14.643 Betretungs- und Annäherungsverbote (BV/AV) verhängt. Dieses Betretungs- und Annäherungsverbot zum Schutz vor Gewalt ist unter § 38a. Abs. 1 des Sicherheitspolizeigesetzes (SPG) wie folgt festgelegt:
„Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind ermächtigt, einem Menschen, von dem auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass er einen gefährlichen Angriff begehen werde, das Betreten einer Wohnung, in der ein Gefährdeter wohnt, samt einem Bereich im Umkreis von hundert Metern zu untersagen (Betretungsverbot). Mit dem Betretungsverbot verbunden ist das Verbot der Annäherung an den Gefährdeten im Umkreis von hundert Metern (Annäherungsverbot).“
Zusätzlich müssen Gefährder:innen innerhalb von 5 Tagen eine Gewaltpräventionsberatungsstelle kontaktieren.
Hilfestellung für eine gewaltfreie Zukunft
Neustart ist eine der zuständigen Beratungsstellen für Gewaltprävention. In 3 bis 4 Beratungsterminen innerhalb von 6 Wochen setzt der Verein Maßnahmen zur Klärung der Lebenssituation, informiert über rechtliche Folgen der Handlung und vermittelt an weiterführende Beratungseinrichtungen.
„Sechs Beratungsstunden können zwar nicht automatisch eine Verhaltensänderung bewirken“, sagt Andreas Zembaty, Sprecher des Vereins Neustart. „Aber es kann die Grundlage dafür bereitet werden und ist eine Chance, die Bereitschaft für weitere Maßnahmen herzustellen, etwa ein Anti-Gewalt-Training.“
Wichtig zu betonen sei, dass es hierbei keinesfalls um eine „Servicierung“ von Beschuldigten gehe – eine Befürchtung, die im Vorfeld von Opferschutzeinrichtungen gehegt wurde.
„Eine Deklassierung der Täter ist aber auch hochgefährlich für die Opfer.“
Andreas Zembaty, Sprecher von Neustart
Wenn Sie oder jemand in Ihrem Umfeld von Gewalt betroffen sind, stehen Ihnen unter anderem folgende anonymisierte, kostenfreie Anlaufstellen rund um die Uhr zur Verfügung: Frauenhelpline gegen Gewalt (0800 222 555), Gewaltschutzzentrum (0800 700 217), Männerinfo (0800 400 777)
Wenn Sie weitere Gewalthandlungen befürchten, dann besteht die Möglichkeit, in einer Notunterkunft Zuflucht zu nehmen.