Flugshaming: Warum im Dilemma zwischen Klima und Reisen kein Fingerzeigen hilft

Die junge Generation ist in einem Zwiespalt. Auf der einen Seite der Klimawandel, die Reiselust auf der anderen. Wälzen Ältere ihre Verantwortung auf die Jungen ab, belasten sie deren Psyche umso mehr.

Das Dröhnen der Turbinen wird lauter, dann hebt das Flugzeug ab. Drinnen neigt sich alles nach hinten. Durch die Fenster sieht man den schiefen Horizont. Genau diesen Horizont möchte man erweitern, neue Länder entdecken. Und fliegt dabei hoch hinaus. Vielleicht etwas zu hoch, sagt das schlechte Gewissen. Es ist mit an Bord. Denn auch die Welt draußen steht auf der Kippe.

Belastendes Dilemma

Die meisten jungen Menschen kennen das Dilemma. Einerseits möchte man die globale Erwärmung aufhalten, die Umwelt ist einem wichtig. Gleichzeitig will man genau diese Umwelt entdecken und bereisen. „Ich will nicht, dass die Erde zugrunde geht“, befürchtet Jus-Studentin Laura. „Man bekommt schnell ein schlechtes Gewissen“. Aber: „Ich will auch neue Kulturen kennenlernen, nicht so engstirnig sein“. Verdient Journalismus-Studentin Elena Geld, „ist der Hintergedanke immer, es für Reisen auszugeben“. Dabei fliegen viele Junge mit dem Flugzeug, wie eine Studie zeigt, denn Züge sind teuer und langsamer. So belasten sie das Klima und ihr Gewissen.

Viele junge Menschen fliegen, obwohl es klimaschädlich ist – ein Dilemma; Quelle: Pixabay

Vom eigenen Versäumnis ablenken

Was Generation Z zusätzlich belastet, sind negative Reaktionen von Älteren. Zeigen diese mit dem Finger auf sie, betreiben sie „Flugshaming“. Einige der befragten Studierenden wurden mit solchem schon konfrontiert. Auch durch Kommentare verschiedener Medien: „Müssen Junge so viel fliegen?“ oder „Von wegen Flugscham – Gen Z und Millennials fliegen öfter als Boomer“. Deren psychisches Motiv: Schlechtes Gewissen, so Martina Amberg von „Psychologists4Future“. „Als der Club of Rome 1972 vor der Klimakrise gewarnt hat, haben die Älteren fleißig weitergemacht mit Überkonsum und Billigreisen“, so die Deutsche. Es sei unangemessen, jetzt mit dem Finger auf die Generation zu zeigen, die am Anfang ihres Lebens stehe, „um von den eigenen Versäumnissen abzulenken“.

„Es wird mit dem Finger auf die Generation gezeigt, die am Anfang ihres Lebens steht, um von den eigenen Versäumnissen abzulenken.“

Psychologin Martina Amberg

Psychische Tricks

Dass im Dilemma der Jungen die Flugreise dem Klimaschutz vorgezogen wird, liegt am inneren Belohnungssystem, so Amberg. „Dieses strebt nach kurzfristiger Befriedigung. Die Belohnung der tollen Reise ist greifbarer, als auf sie zugunsten der Klimakrise zu verzichten.“ Die österreichische Klimapsychologin Anna Pribil erklärt die Folge: ein innerer Spannungszustand. Deshalb greift der junge Mensch zu psychischen Tricks. „Handlungen und Einstellungen stimmen nicht überein. Entweder man verändert das Verhalten, und fliegt nicht mehr, oder man ändert die Einstellung, und redet sich ein, allein könne man nichts bewirken. Dieses Framing passiert häufiger.“

Klima-Emotionen

Trotz der psychischen Tricks belastet das Dilemma die junge Generation mit negativen Klima-Emotionen, so Pribil. Dazu gehört auch „Climate Anxiety“, die Klimaangst – laut der bisher größten Studie dazu, bei der 10.000 Jugendliche befragt wurden, haben drei von vier jungen Menschen Zukunftsangst. Sechs von zehn machen sich große oder extreme Sorgen über den Klimawandel. Für die Klimapsychologin verstärkt Fingerzeigen durch Flugshaming diese psychische Belastung nur. „Ältere wälzen ihre Verantwortung auf die Jungen ab. Es kommt zu einer Individualisierung.“ Martina Amberg meint dazu: „Der CO2-Fußabdruck wurde von einem Fossilkonzern promotet, um die Last auf die Individuen abzutragen, statt auf Wirtschaft und Politik.“

59% der jungen Menschen haben extreme oder sehr große Klimasorgen
Quelle: Young people’s voices on climate anxiety (University of Bath)

Händereichen statt Fingerzeigen

Die Klima-Emotionen seien aber nur die Symptome. Viel eher müsse die Ursache behandelt werden, meint Klimapsychologin Pribil – mit Maßnahmen der Politik. Kerosin solle besteuert werden. Die befragten Studierenden wünschen sich vor allem einen Ausbau des Öffi-Netzes und billigere Zugtickets. Doch Amberg sieht auch Lösungsansätze bei der jungen Generation. Man müsse das neue „Normal“ definieren, nicht mehr alles jederzeit zu bekommen. Dazu empfiehlt sie Social-Media-Vernetzungen für bezahlbare Tipps ohne Flugzeug. Statt Individualisierung braucht es also Kollektivismus. Ähnlich sieht das Pribil: „Denn es gibt auch einige wenige positive Klima-Emotionen“. Eine davon ist das Gefühl der kollektiven Wirksamkeit.

„Das Gefühl der kollektiven Wirksamkeit ist eine der wenigen positiven Klima-Emotionen“

Klimapsychologin Anna Pribil

Mittlerweile ist das Flugzeug wieder gerade. Das Klima steht wohl weiterhin auf der Kippe. Vielleicht wird das Dröhnen der Turbinen leiser, aber bald verstummen wird es leider nicht. Flugshaming ist trotzdem keine Lösung, so die Psychologinnen. Denn kollektive Wirksamkeit brauche Händereichen. Und kein Fingerzeigen.